Gefühlen Raum zu geben ist eine wichtige Voraussetzung für unser psychisches Wohlbefinden. Und je leichter wir Zugang zum Reichtum unserer Gefühlswelt bekommen, desto lebendiger fühlen wir uns. Wir sind dann gut mit uns in Kontakt.
Doch sind Gefühle auch gute Ratgeber für unser Handeln? Eignen sie sich als Kompass für unsere Entscheidungen?
Gefühle wollen fließen, das bedeutet, sie wollen gefühlt werden und können dann wieder gehen beziehungsweise sich wandeln. Wenn Gefühle verdrängt oder im Keim ersticken werden, tauchen sie, verdrängter Energie gleich, an anderer Stelle wieder auf und bilden dort Symptome. Etwa in Form psychosomatischer Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Verspannungen, oder als inadäquater Gefühlsausbruch in einer völlig anderen Situation.
In jeder Therapie wird es daher zu einem großen Teil darum gehen, Gefühlen die Erlaubnis zu geben, sich zu zeigen und da zu sein. In der Kunsttherapie passiert das oft, indem sie mit Formen und Farben, Ton und Naturmaterialien ausgedrückt werden.
Das ist nicht immer leicht, denn viele Menschen haben früh erfahren, dass es Gefühle gibt, die im sozialen Miteinander wenig erwünscht sind, etwa Aggression, Wut, Neid, Eifersucht und vieles mehr. Es ist oft ein langer Weg, bis wir uns allmählich immer mehr die Erlaubnis geben, auch solche Gefühle, die negativ behaftet sind und auch für uns selbst nicht angenehm wahrzunehmen, wieder fühlen zu dürfen.
Gehen wir nun davon aus, dass es irgendwann zunehmend gut gelingt, Zugang zu unseren Gefühlen zu haben, sowohl zu denen, die wir als angenehm bewerten würden, als auch zu den unangenehmen. Sind unsere Gefühle nun auch ein guter Kompass für unsere Handlungen? Können wir unserem so genannten Bauchgefühl vertrauen? Sind unsere Gefühle gute Wegweiser in unseren Beziehungen zu uns selbst und zu anderen? Können wir uns auf sie verlassen, wenn wir Entscheidungen treffen müssen? Sollen wir etwa eine berufliche Herausforderung nicht annehmen, weil wir Angst haben, nicht zu genügen, oder in alten Routinen verweilen, weil sich die damit verbundene Sicherheit gut anfühlt?
Alte Prägung oder eine Reaktion auf das Hier und Jetzt?
Gehen wir an dieser Stelle noch mal einen Schritt zurück. Tatsache ist, ohne Gefühle wären wir sogar unfähig, irgendeine Entscheidung zu treffen. Gefühle sind der Anstoß dazu, die eine oder andere Richtung einzuschlagen. Sie helfen dabei, Situationen einzuschätzen und im Körper die nötige Energie zur Bewältigung komplizierter Situationen zu mobilisieren. Was ist jedoch, wenn ein Gefühl einer alten Prägung entspringt und in der heutigen Situation eigentlich nicht angemessen ist?
Um es mit einem plakativen Beispiel zu veranschaulichen: Angenommen, ein Mensch wurde in seiner Kindheit von einer wichtigen Bezugsperson verlassen und leidet seither unter einer schweren Verlustangst. Er reagiert nun aus dieser alten Prägung heraus in seiner aktuellen Beziehung sehr eifersüchtig, wenn sein Partner etwas ohne ihn unternehmen möchte. Diese Eifersucht ist ein Gefühl, welches aufgrund der früheren Erfahrung absolut nachvollziehbar ist, in der Gegenwart jedoch nicht adäquat und hilfreich. Aus diesem Gefühl heraus zu handeln, wäre unangebracht und würde langfristig zu Schwierigkeiten in der Partnerschaft führen.
Umgekehrt kann es auch vorkommen, dass Gefühle, die nicht ins eigene Selbstbild passen, unterdrückt werden. Wenn jemand etwa konsequent positiv denken und daher keinerlei negative Gefühle wie Ärger oder Langeweile mehr aufkommen lassen möchte. In letzter Zeit wurde dafür der Begriff der toxischen Positivität geprägt.
Egal, ob wir nun keine negativen Gefühle mehr wahrnehmen möchten oder im Gegenteil immer wieder von ihnen eingeholt werden, in beiden Fällen passiert Folgendes: eine ganze Bandbreite von Gefühlen wird nicht gefühlt, sondern verdrängt beziehungsweise es wird ein Deckel darauf gemacht. Das führt dazu, allmählich abzustumpfen und den Kontakt zu unserem inneren Erleben stark einzuschränken.
Der Raum zwischen Reiz und Reaktion
Ideal oder förderlich wäre es, Gefühle wahrzunehmen, aber dann nicht automatisch zu reagieren, sondern eine Pause einzulegen, bevor daraus Handlungen abgeleitet werden. Das ist natürlich nicht so einfach. Wir sind evolutionär darauf geprägt, auf Gefühle stärker zu reagieren als auf unsere rationalen Gedanken. Angst zum Beispiel ist ein Gefühl, das überlebenswichtig war und zum Teil immer noch ist. Wenn wir eine giftige Schlange im Gebüsch entdecken, ist es wichtig, dass Angst uns warnt und wir sofort darauf reagieren, in dem wir zur Seite springen. Es würde wenig Sinn machen, stehen zu bleiben und in aller Ruhe darüber nachzudenken, ob das denn wirklich eine Schlange ist oder ob es sich vielleicht nur um einen Stock handelt, der einer Schlange ähnelt und wenn ja, ob sie denn überhaupt giftig ist. Am Ende all dieser Überlegungen könnten wir schon den tödlichen Biss erhalten haben.
Unsere Gehirnstrukturen haben sich seit der Steinzeit zwar nicht wesentlich geändert, aber die Welt, in der wir heute leben, ist eine andere. In den allermeisten Situationen können wir es uns leisten, nicht automatisch zu reagieren, sondern uns zwischen Gefühl und Handlung Zeit für eine Reflexion zu nehmen. Ich kann einen Raum in mir schaffen, in dem ein Gefühl nicht wertend wahrgenommen werden darf und ich mir vielleicht folgende Fragen stelle:
- Was will mir das Gefühl mitteilen?
- Welche Funktion hat es?
- Wovor möchte es mich schützen?
- Hat dieses Gefühl etwas mit mir oder mit meinem Gegenüber zu tun?
- Ist es ein Gefühl, das in diese Situation passt oder kommt es aus einer alten Prägung heraus?
- Gehört es zu einer sehr alten Grundüberzeugung?
- Was hat dieses Gefühl ausgelöst? Wo sind meine Trigger?
- Kenne ich bereits meine alten Denk- und Handlungsmuster und bin gerade dabei, blindlings hineinzutappen?
Wie macht das die Kunsttherapie?
In der Kunsttherapie entsteht diese heilsame Distanz für die Reflexion und Bewusstwerdung dadurch, dass Gefühle externalisiert werden. Das bedeutet, sie bekommen körperlichen Ausdruck, dürfen also über den Weg des Gestaltens nach außen treten und nun zu einem materiellen Gegenüber werden und können, ganz allmählich, in der Betrachtung und Reflexion, be-griffen werden kann. Etwas sichtbar machen heißt, es begreifbar zu machen. Jetzt kann darüber nachgedacht werden, was dieses Gefühl im Hier und Jetzt bedeutet und welche Handlungsmöglichkeiten aus diesen Erkenntnissen erwachsen.
Vertritt man einen ganzheitlichen kunsttherapeutischen Ansatz, werden in einer Sitzung immer sowohl Gefühle, also auch Gedanken und körperliche Empfindungen entlang eines Themas erforscht. Denn letztlich geht es darum, Herz, Bauch und Kopf in Einklang zu bringen.
Um das alles noch einmal in anderen Worten auf den Punkt zu bringen:
Um sich psychisch gesund und lebendig zu fühlen, ist es wichtig, Gefühle in möglichst vielen Facetten zuzulassen und wahrnehmen zu können. Sie geben uns wichtige Hinweise auf die eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte.
Wenig hilfreich ist es jedoch, sie unhinterfragt zum Leitstern für die eigenen Handlungen zu machen.
Es lohnt sich, im Zwischenraum zwischen Gefühl und Handlung zu verweilen und dort neugierig und nicht wertend zu forschen.
Es ist dieser lebendige Dialog von Gefühl zwischen Verstand, der persönliches Wachstum und seelische Balance ermöglicht.
Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben.
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