Laute, stille oder unterdrückte Wut? Vom Gestalten und Annehmen eines komplexen Gefühls.

 

In meinen Blogartikel Wie du Emotionen malen und so deine Gefühle besser verstehen kannst  (11. Dezember 2020) beschreibe ich, wie Kunsttherapie dabei hilft, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken und wieder klarer zu sehen. Ich schreibe darüber, dass es in uns angelegt ist, Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen uns dafür nur Babys ansehen, die ganz grundsätzlich darauf angewiesen sind, damit ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Sie zeigen ihre Emotionen ganz unmittelbar und unverstellt. Für eine gesunde Entwicklung bleibt es lange Zeit sehr wichtig, dass enge Bezugspersonen unsere Gefühlszustände wahrnehmen, darauf adäquat reagieren und uns auch helfen, diese wieder zu regulieren. Uns trösten, wenn wir traurig sind. Uns Sicherheit geben, wenn wir Angst haben und so weiter. Je älter wir werden, desto besser können wir das selbst.

 

Wir erfahren in diesem Entwicklungsprozess aber auch, dass es Gefühle gibt, die sozial erwünscht und gerne gesehen sind und solche, die wir besser mit uns selbst ausmachen, weil sie unsere Mitmenschen überfordern oder wir damit auf Ablehnung stoßen. Auf das intensive Gefühl der Wut trifft das häufig zu.

 

In den Gestaltungsprozessen während einer Kunsttherapie kommen oft Gefühle an die Oberfläche, die zuvor tief verborgen waren. Sie dürfen sich nun zeigen und achtsam erforscht werden. In der tiefenpsychologisch fundierten Kunsttherapie wird davon ausgegangen, dass über das Gestalten mit künstlerischen Materialien, also letztlich über die Linien und Formen, die durch die Bewegungen der Hand entstehen, auch unbewusste Inhalte auftauchen. Während im Gespräch Gedanken und Worte oft - auch unbewusst - stark kontrolliert werden, ermöglicht das Gestalten einen sehr unmittelbaren Zugang zu unserem inneren Erleben.

 

Häufig zeigt sich dabei auch Wut, manchmal unbändige Wut, die lange Zeit keinen Raum bekommen hat. Warum eigentlich nicht? Wut kann zerstörerisch sein. Wut hängt oft eng mit Kontrollverlust zusammen. Wut entsteht, wenn die eigene Integrität und Unversehrtheit in Gefahr ist. Wut ist an das Gefühl von Ohnmacht gekoppelt. Wut kann daher Angst machen. Umso wichtiger ist es, in einer Therapie behutsam mit diesem mächtigen Gefühl umzugehen.

 

Im geschützten Rahmen einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung kann schließlich auch die andere Seite der Wut erfahren werden. Denn Wut ist eine Emotion, die große Kraft bereitstellt. Wut lindert Angst und setzt Energie frei. Sie treibt Veränderungen voran. Wut weist auf Missstände, Wünsche und Bedürfnisse hin. Sie kann eine Quelle kreativer Lösungen sein. Sie hilft, die eigenen Grenzen zu ziehen und zu wahren.

 

Das soll keineswegs eine Anregung dazu sein, die eigene Wut hemmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste auszuleben. Gefühle, so auch Wut, müssen und sollen nicht automatisch unsere Handlungen leiten. Es ist sehr hilfreich für uns und unsere Beziehungen zu anderen Menschen, zwischen einem Reiz und der Reaktion darauf eine Pause einzulegen.

 

Gefühlen muss also keine automatisierte Handlung folgen, sondern sie dürfen durchaus vom Verstand geprüft werden, aber: Gefühle wollen gefühlt werden.

 

Ein Gefühl zu unterdrücken kostet viel Energie. Es ist so, als würde man einen prall mit Luft gefüllten Ballon unter Wasser drücken. Das ist möglich, erfordert aber permanente Aufmerksamkeit und Anstrengung.

 

Wer andauernd Gefühle unterdrückt, kann das Leben nicht in seiner vollen Intensität leben, sondern stumpft innerlich ab. Langfristig machen unterdrückte Gefühle krank. Denn sie verschwinden nicht einfach, sondern bilden Symptome wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck und andere körperliche Beschwerden.

 

Im Jähzorn wird ein Mensch von seiner unterdrückten Wut überwältigt und geradezu emotional überflutet. Neben dieser sehr lauten Seite der Wut gibt es noch eine andere: die stille, verdrängte Wut. In einer Depression werden aggressive Impulse bis zur völligen Erschöpfung unterdrückt, bis schließlich kaum noch gefühlt wird. Das Niederdrücken aller Impulse kostet das psychische System so viel Kraft, dass schließlich kaum noch Lebensenergie für den Alltag übrig bleibt.

 

Wenn Wut also nicht als unterdrückte Emotion krank machen soll, muss sie wahrgenommen werden und Ausdruck finden und im besten Fall bei anderen Menschen auf Resonanz stoßen.

 

In der kunsttherapeutischen Begleitung entsteht ein sicherer Raum und Rahmen, in dem sich Gefühle zeigen dürfen, auch solche, die Angst auslösen, mit Scham besetzt sind oder in einer anderen Qualität unangenehm zu fühlen sind. An irgendeiner Stelle eines kontinuierlichen therapeutischen Prozesses wird meist auch Wut zum Thema.

 

Wie gestaltet sich deine Wut aus?

 

Ich möchte dir aber an dieser Stelle auch eine Möglichkeit vorstellen, dich alleine explizit mit deiner Wut im Gestalten auseinanderzusetzen. Mit Hilfe einiger Fragen kannst du beginnen, sie zu erforschen und dabei mehr über dich selbst erfahren. 

 

(Wenn diese Vorstellung in dir Angst auslöst, mach diese Übung nicht und nimm sie ernst als einen Hinweis darauf, dir dafür therapeutische Begleitung zu suchen.)

 

Du brauchst dazu nichts weiter als Buntstifte oder Ölkreiden, Papier, einen ungestörten Ort und eine halbe Stunde Zeit.

 

Wut ist eine Emotion, bei der viel Bewegung entstehen kann, wähle das Papier daher so, dass es groß genug ist, etwa A3.

 

Welche Farbe hat Wut für dich? Es gibt den Spruch: Jemand sieht rot. Umgangssprachlich ist damit gemeint, dass jemand sehr wütend ist und die Beherrschung verliert. Lass dich von solchen Zuschreibungen nicht leiten, sondern spür in dich hinein und frag dich: welche Farbe hat meine Wut?

 

Dann wähle einen Stift oder eine Kreide in dieser Farbe. Spür in dich hinein: Was passiert in dir, wenn du wütend bist? Hast du dazu ein Körpergefühl? Und dann lass deine Hand von der Wut bewegen. Versuch dabei nicht, ein „schönes“ Bild zu zeichnen, sondern ein authentisches. Folge dafür einfach deinen Impulsen.

  • Wie formt sich deine Wut auf dem Papier aus?
  • Welche Bewegung entsteht?
  • Ist sie schnell oder langsam, stockend oder fließend, zackig oder rund?
  • Welche Linien und Formen entstehen?

 

Falls es dir so geht wie vielen Menschen, die ihre Wut unterdrücken und dadurch schwer Zugang zu dieser Emotion bekommen, kannst du versuchen, dir vorzustellen:

  • Wie würde sich meine Wut zeigen?
  • Welche Farbe hätte sie?
  • Wie könnte sie sich durch die Bewegungen deiner Hand ausformen?

Nach dem Gestalten...

 

Deine Wut hat nun Form und Farbe, also körperlichen Ausdruck bekommen. Du hast nun ein materielles Bild deiner inneren Bewegtheit vor dir liegen.

 

Wie ist es dir während dieses Prozesses ergangen?

  • Sind noch andere Gefühle aufgetaucht?
  • Wie hast du das Gestalten körperlich empfunden?
  • Welche Gedanken waren da?

 

Und nun lass die Gestaltung auf dich wirken, indem du sie neugierig anschaust. 

  • Welchen Einblick bekommst du nun im wertfreien Schauen in deine Gefühlswelt?
  • Was verbindest du mit der gewählten Farbe?
  • Welche Dynamik erkennst du?
  • Macht dich etwas neugierig?
  • Findest du etwas seltsam?
  • Gibt es eine Stelle in deiner Gestaltung, die deinen Blick besonders auf sich zieht?
  • Kommen Erinnerungen in dir hoch?
  • Und zum Schluss: Wie möchtest du deine Gestaltung benennen? Gibt es ein Wort oder einen kurzen Satz, mit dem du das Wesentliche deines Gestaltungsprozesses auf den Punkt bringen kannst?

 

Wut gehört wie die ganze Bandbreite all unserer Emotionen zu unserem Wesen und unserer Existenz dazu. Damit wir uns lebendig und vollständig fühlen und in unserer psychischen Balance bleiben, ist es wichtig, Wut nicht zu unterdrücken, sondern sie wahrzunehmen und auszudrücken. 

 

Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben. 

 

Mein Blog soll dazu anregen, selbst zu gestalten und sich in kreativen Prozessen mit sich selbst zu verbinden. Die vorgestellten Übungen zur kreativen Selbsterfahrung sind nicht zu verwechseln mit Kunsttherapie. Kunsttherapie erfordert eine ausgebildete Kunsttherapeutin / einen ausgebildeten Kunsttherapeuten. 

 

 

Ich biete trotz Covid 19 und auch während des Lockdowns Kunsttherapie 1:1 mit ausreichenden Schutzmaßnahmen in meiner Praxis an, aber auch gerne online.

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Kommentare: 1
  • #1

    Carola (Sonntag, 20 Februar 2022 00:55)

    Herzlichen Dank liebe Christa! Deine Zeilen machen mir Mut. Bislang habe ich tatsächlich Angst davor gehabt, meine Wut auf Papier zu bringen. Mit Deinen Zeilen habe ich aus Wut -> Mut gemacht und begonnen zu malen. Danke!
    Viele Grüße Carola