Deine Vorstellung ist so real wie die Wirklichkeit selbst

 

Wenn ich Kunsttherapie mit wenigen Worten einfach erklären möchte, mache ich das gerne so: Wir alle tragen innere Bilder in uns. Sie beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln. Manche von ihnen sind förderlich, andere nicht. In der Kunsttherapie kann erkannt werden, welche inneren Bilder uns leiten. Wir können sie erforschen und jene, die uns an unserer gesunden Entwicklung hindern, verändern.

 

Was aber sind innere Bilder? Es sind die Vorstellungen, die wir uns von uns selbst und von der Welt machen. Wir speichern unsere Erfahrungen von Beginn an als Bilder ab, lange bevor wir in Worten denken und sprechen. Wir träumen in Bildern, wir erinnern uns in Bildern, wir malen uns unsere Zukunft in Bildern aus. Selbst in unserer Sprache drückt sich unser bildhaftes Denken aus: wir sprechen vom Selbstbild und vom Weltbild, von Einbildungen, Vorbildern, Feindbildern, folgen vielleicht einem Leitbild. Jede neue Idee, jede Erfindung und Entdeckung existiert zunächst als bildhafte Vorstellung. 

 

Wir alle leben in einer Welt der inneren Bilder.

 

Die Kunsttherapie und auch viele psychotherapeutische Richtungen greifen diese Tatsache auf und arbeiten mit inneren Bildern.

 

Carl Gustav Jung war der Pionier in der psychotherapeutischen Arbeit mit inneren Bildern. Er wusste, dass sich die eigene innerpsychische Dynamik in Vorstellungsbildern spiegelt. Und er wusste auch, dass die Beschäftigung mit diesen inneren Bildern einen unmittelbaren Kontakt mit bisher Unbewusstem ermöglicht. Innere Bilder sichtbar zu machen bedeutet, einen unmittelbaren Zugang zur eigenen inneren Welt zu bekommen, in einen sehr tiefen Bezug zu sich selbst zu gehen.

 

Wenn in der Kunsttherapie innere Bilder Form und Farbe bekommen, dann wird ein innerer Prozess im Außen sichtbar. Wir haben dann ein Bild vor uns liegen, das wir erforschen und be-greifen können. Dieses Bild ist Ausdruck unserer Wünsche, Sorgen und Konflikte und enthält Hinweise auf deren mögliche Lösung.

 

Wie alle erleben die Welt um uns herum durch die Filter unserer inneren Bilder. Es gibt nicht DIE EINE Wirklichkeit, die wir passiv wahrnehmen. Stattdessen müssen wir unsere Wirklichkeit aktiv konstruieren. Jeder einzelne Mensch erschafft sich seine Wirklichkeit selbst.

 

Wenn wir davon ausgehen, dass es nicht DIE EINE Realität gibt, in der wir leben, sondern wir diese durch den Filter unserer Erfahrungen, Ziele und Wünsche erfahren, können wir beginnen, unsere Filter zu untersuchen. Und auch verändern, wenn sie uns am erfüllten Leben hindern.

 

Hilfreiche Bilder beziehungsweise Vorstellungen wirken sich positiv auf unsere Psyche und unsere gesamte Gesundheit aus. Neurowissenschaftliche Untersuchungen liefern die wissenschaftliche Begründung dafür: unser Gehirn unterscheidet kaum zwischen einem realen optischen Eindruck ujnd einer Vorstellung. In beiden Fällen ist dieselbe Region in unserem Kortex aktiv. Weil die innere Welt für das Gehirn der äußeren ebenbürtig ist, kann sie ebenso wirksam wie diese unsere Stimmung und unser Verhalten beeinflussen.

 

In jeder Therapie geht es darum, seelische Konflikte zu lösen und aus einer Fixierung heraus wieder in Bewegung zu kommen. Dafür ist es wichtig, dem Leid genug Raum zu geben, Schwieriges da sein zu lassen und gemeinsam auszuhalten, ohne es gleich verändern zu wollen. Gleichzeitig sollten wir uns vergegenwärtigen, dass jeder Mensch immer auch einen heilen Kern in sich trägt, auf den wir uns in der Therapie beziehen können. Die Beschäftigung mit den inneren Bildern bringt uns in Kontakt mit diesem Heilsamen in uns.

 

Wie kann Schwieriges leichter werden? Wie können Konflikte gelöst werden? Wie kann aus Erstarrung wieder Bewegung werden?

 

Denn letztlich geht es in Therapie um Veränderung. Diese passiert nicht, indem wir an Vergangenem festhalten sondern indem wir neue, hilfreiche Bilder in uns entstehen lassen. Indem wir im Lebensfluss sind und keine stehenden Gewässer bilden. 

 

Die Erzeugung von hilfreichen inneren Bilder kann bei psychischen Belastungen und Krankheiten eine erstaunliche heilende Wirkung entfalten.

 

Diese neuen, förderlichen Bilder dürfen immer wieder vorgestellt, gefühlt, gestaltet werden. Erst dadurch verstärken sich die entsprechenden Nervenbahnen und Verknüpfungen zwischen den Neuronen. Häufig gedachte Vorstellungen bewirken Verstärkung, selten gedachte hingegen Verdünnung der neuronalen Verbindungen. Breite Straßen stehen kleinen Pfaden gegenüber.

 

Wir sind unseren Lebensumständen nicht hilflos ausgeliefert. Unsere Realität ist maßgeblich von der Beschaffenheit unserer inneren Bilder bestimmt. Daher ist es wichtig immer wieder zu überprüfen:

 

Welche inneren Bilder bestimmen meine Welt?  

 

Luise Reddemann hat einen sehr ressourcenorientierten Zugang zur Arbeit mit inneren Bildern. Sie entwickelte die „Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie“ (PITT), in der Vorstellungsbilder zur emotionalen Stabilisierung genützt werden.

 

In einer Therapie sollen Imaginationen nie als reine Technik verwendet werden, sondern individuell auf die Klientin oder den Klienten abgestimmt werden und in eine vertrauensvolle Beziehung eingebettet sein. Dennoch möchte ich abschließend eine Imagination vorstellen, die ich in meiner Arbeit immer wieder als sehr hilfreich erlebe. In der Baumübung wird erlebbar, ohne Anstrengung all die Nahrung zu bekommen, die man benötigt.

 

Üblicherweise wird eine Imaginationsübung vorgelesen, während die Klientin oder der Klient die Augen schließt und sich den eigenen Vorstellungen hingibt. Du kannst dir diesen Text aber auch langsam durchlesen und dabei Bilder aufsteigen lassen. Vielleicht hast du anschließend den Impuls, ein Bild zu gestalten und dich während des Gestaltungsprozesses mit deiner entstandenen Vorstellung näher auseinanderzusetzen. 

 

 

Die Baumübung

 

Stell dir zunächst eine Landschaft vor, in der du dich wohl fühlst und wo du dich gerne aufhältst. Das kann eine erfundene Landschaft sein, es muss keine real existierende sein.

 

Und stell dir irgendwo in dieser Landschaft einen Baum vor, zu dem du gerne hingehen möchtest, der dich vielleicht sogar anzieht. Und stell dir vor, dass du zu diesem Baum gehst und Kontakt mit ihm aufnimmst, indem du ihn vielleicht berührst oder ihn dir anschaust.

 

Nimm seinen Stamm wahr, nimm den Geruch auf. Nimm dann wahr, wie der Stamm sich verzweigt. Die Blätter. Das alles registriere zunächst und nimm Kontakt mit diesem Baum auf.

 

Und wenn es für dich möglich ist, dann kannst du dir vorstellen, dass du dich an den Baum lehnst und ihn wirklich spürst. Und wenn dir die Vorstellung angenehm ist, dann kannst du dir vorstellen, dass du eins wirst mit dem Baum. Und dann kannst du als Baum erleben, was es heißt, Wurzeln zu haben, die sich in der Erde verzweigen, und von dort Nahrung in sich aufzunehmen. Erlebe es, Blätter zu haben, die das Sonnenlicht aufnehmen und umwandeln können. Wenn du nicht mit dem Baum verschmelzen willst, dann betrachte ihn einfach. Beschäftige dich damit, was es wohl für den Baum bedeutet, Wurzeln zu haben und Blätter, die das Sonnenlicht aufnehmen.

 

Und dann beschäftige dich mit der Frage, womit du jetzt genährt werden möchtest, versorgt werden möchtest. Ist das körperliche Nahrung, Gefühlsnahrung, Nahrung für den Geist, dein spirituelles Sein? Benenne das so genau, wie es dir möglich ist.

 

Und wenn du eins bist mit dem Baum, dann stellen dir vor, dass du von der Erde und der Sonne diese gewünschte Nahrung erhältst. Und wenn du nicht mit dem Baum verschmolzen bist, kannst du dir trotzdem vorstellen, was es bedeutet, von der Sonne und der Erde Nahrung zu bekommen, denn das ist auch bei uns Menschen so. Erlaube dir die Erfahrung, dass diese Nahrung jetzt zu dir kommt, von der Erde und der Sonne.

 

Und spüre dann, wie das, was du von der Sonne und der Erde bekommst, sich in dir verbindet. Und dass du dadurch wächst. Und dann löst du dich wieder von deinem Baum.

 

Und du kannst dir vornehmen, wenn du willst, dass du zu deinem Baum zurückkehrst, um mit seiner Hilfe zu erfahren, dass du mit allem, was du gerne hättest, genährt werden kannst.

 

Ich hoffe, dass diese Erfahrung für dich angenehm war und lade dich ein, in dich hineinzuspüren, ob da ein Impuls ist, ein inneres Bild, das während der Übung aufgetaucht ist, zu gestalten. 

 

Wenn du möchtest, schreib gerne anschließend einen Kommentar, wie es dir mit der Baumübung oder auch während der Gestaltung gegangen ist. 

 

 

Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben. 

 

Mein Blog soll dazu anregen, selbst zu gestalten und sich in kreativen Prozessen mit sich selbst zu verbinden. Die vorgestellten Übungen zur kreativen Selbsterfahrung sind nicht zu verwechseln mit Kunsttherapie. Kunsttherapie erfordert eine ausgebildete Kunsttherapeutin / einen ausgebildeten Kunsttherapeuten. 

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