Wer eine Therapie beginnt, möchte etwas in seinem Leben verändern. Entweder aus einem großen psychischen Leidensdruck oder aus dem Wunsch heraus, das eigene Potenzial weiter zu entfalten. Dieser Drang, Dinge zum Guten zu verändern, dieses Streben nach Entwicklung ist in uns Menschen angelegt und kann in einer Therapie wunderbar begleitet werden.
Es lohnt sich jedoch auch immer, nach dem Motor dieses Strebens zu fragen.
Denn manchmal liegt dem Wunsch nach Veränderung nicht die in uns allen angelegte Tendenz nach innerem Wachstum zugrunde. Sondern eine tief liegende Scham. Die Scham, nicht gut genug zu sein. Die Überzeugung: Ich bin nicht ok.
Es ist sinnvoll, hier klar zwischen Schuld und Scham zu unterscheiden. Wenn wir uns schuldig fühlen, passiert das, weil wir in unseren Augen falsch gehandelt haben. Scham jedoch bezieht sich nicht auf unser Handeln und enthält nicht die Möglichkeit einer Wiedergutmachung, denn sie bedeutet: ich selbst bin falsch.
Scham ist eng an körperliche Empfindungen geknüpft. Wenn wir uns sehr schämen, haben wir das Gefühl und das Bedürfnis, uns in Luft aufzulösen. Es fühlt sich an, wie zu zerbröseln. Es zieht uns den Boden unter den Füßen weg, lässt uns zusammensacken und erweckt den Wunsch, unsichtbar zu werden. Zu verschwinden.
Dabei ist situative Scham, wie alle anderen Gefühle auch, grundsätzlich sinnvoll. Scham entsteht aus Konditionierung und dem grundlegenden Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Es gibt Schamgefühle, die für unsere Ko-Existenz innerhalb einer Gesellschaft notwendig sind. Sie hindern uns an unangemessenem Verhalten innerhalb einer Gruppe. Auch wenn die Grenzen der Scham individuell sind – die meisten von uns versuchen, innerhalb der Wertvorstellungen eines sozialen Gefüges zu bleiben, also mit den jeweiligen gesellschaftlichen Normen konform zu gehen. Das kann etwa bedeuten, in der Öffentlichkeit keine massiven Wutanfälle zu haben, Abmachungen einzuhalten und in der Teamsitzung keine unangebrachten Körpergeräusche zu machen.
Was aber, wenn Schamgefühle nicht nur situativ auftreten, sondern zu einem diffusen Grundgefühl geworden sind?
Toxische oder existenzielle Scham entwickelt sich, wenn die eigene emotionale Integrität verletzt wurde und aus dieser Erstarrung nicht wieder herausgefunden wurde. Wenn der Gedanke auftaucht: Ich bin nicht ok. Ich bin als Person falsch. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich genüge nicht.
Oft sind solche fundamentalen Schamgefühle früh entstanden, etwa weil unsere kindlichen Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt wurden. Wenn wir als Baby und Kinder nie bekommen, was wir eigentlich brauchen, obwohl wir danach schreien. Oder wenn wir wiederholt für unsere Bedürfnisse, also für unser So-Sein, abgewertet werden. Wenn unsere Grenzen systematisch überschritten werden. Dann entsteht in uns die tiefe Überzeugung, nicht richtig zu sein.
Solch existenzielle Scham ist vernichtend, weshalb Menschen dagegen Abwehrmechanismen entwickeln. Diese können sich in Selbstabwertung und Depressionen äußern, auch in starker Aggression anderen gegenüber und sehr häufig in dem dauerhaften und erschöpfenden Streben danach, den eigenen Selbstwert durch Selbstoptimierung wieder zu erhöhen.
Manche Ansätze in der Persönlichkeitsentwicklung arbeiten in erster Linie mit dem Willen. Man muss eine Veränderung nur genug wollen. Man muss sich nur genug anstrengen. Man muss nur hart genug an sich arbeiten. Man muss nur konsequent genug sein. Und wenn wir nur genug wollen, ja, dann können wir alles erreichen, was wir möchten. Und so werden gute Vorsätze gefasst, positives Denken groß geschrieben und Affirmationen geübt.
Gehen wir also davon aus, dass wir mit unserem Verstand zu folgender theoretischer Erkenntnis gelangt sind: Dass wir gut genug sind, genau so wie wir sind. Oftmals versuchen Menschen sich nun durch positives Denken und Affirmation davon zu überzeugen, dass sie richtig und ok sind.
Doch oft lassen sich dadurch keine nachhaltigen Veränderungen erzielen.
Woran liegt das? War dann eben der eigene Wille zu schwach?
Es taucht vielleicht in manchen Momenten die Ahnung auf, dass wir, im Hamsterrad der Selbstoptimierung gefangen, unser Ziel nie erreichen werden. Dass wir so die Selbstannahme, Selbstliebe, Selbstzufriedenheit, die wir uns so sehr wünschen, nicht erlangen können.
Der reine Wille reicht oft nicht aus, um positive Veränderungen im eigenen Leben zu bewirken.
Das liegt daran, dass das eigene schambehaftete defizitäre Selbstbild sehr tief und fest verankert ist. Solche grundsätzlichen Überzeugungen und hinderliche Gefühle lassen sich nicht einfach dauerhaft abspalten und durch neue Gedanken überschreiben.
Bildlich gesprochen: Wenn wir einen Apfel orange anmalen, dann wird er trotz allem nicht zu einer Orange, sondern bleibt im Kern ein Apfel.
(Dieses Zitat stammt aus dem Buch "Befreiung von Scham und Schuld. Alte Überlebensstrategien auflösen und Lebenskraft gewinnen" von Laurence Heller und Angelika Doerne, dem ich wertvolle Impulse für die Verfassung dieses Blogbeitrags verdanke.)
Allein der Wille für Veränderungen reicht also oft nicht aus. Im Gegenteil, die Auffassung, man müsse etwas nur genug wollen, kann die eigene Situation noch schlimmer machen. Denn wenn dann die Erfahrung gemacht wird, dass es nicht gelingt, kommt noch mehr Selbstentwertung dazu. Der schamhafte Eindruck, dass mit sich selbst ganz grundsätzlich etwas nicht stimmt, verstärkt sich dadurch.
In der Therapie begegnen wir häufig einem solchen sehr tief sitzenden Gefühl von Scham. Diese Scham fühlt sich für die Betroffenen diffus an und ist schwer in Worte zu fassen. Sie ist durchgehend da und durchdringt das eigene Denken, Fühlen und Handeln. Oft wurde versucht, sie durch positives Denken und das Streben nach Selbstoptimierung zu bekämpfen, doch hartnäckig wirkt sie aus der Tiefe der Seele.
Wie kann es gelingen, diese existenzielle Scham zu überwinden?
Die Antwort darauf ist so einfach wie komplex.
Scham ist ein Gefühl.
Und Gefühle wollen gefühlt werden.
Für Veränderungen, die unsere Selbst liebe, unsere Selbst annahme und unseren Selbst wert betreffen, brauchen wir vor allem den Kontakt und die Verbindung mit uns selbst. Wir müssen uns selbst gut wahrnehmen und spüren können. Mit uns in einen echten Kontakt gehen. Die Verbindung zu uns selbst suchen, statt die Befriedigung unserer tiefen inneren Bedürfnisse im außen.
Wie kann Kunsttherapie dabei unterstützen?
Das kunsttherapeutische Setting und meine Haltung als Therapeutin bieten einen Raum, in dem es möglich wird, sich ohne Bewertungen auf die eigene innere Welt einzulassen, so, wie sie jetzt gerade ist.
Die eigenen Gefühle, Empfindungen und Gedanken achtsam, liebevoll und nicht wertend wahrnehmen.
Mit Farben und Formen ausdrücken, wofür es keine Worte gibt.
Mit sich selbst in eine tiefe akzeptierende Verbindung gehen.
Den Körper sprechen lassen.
Nichts müssen, alles dürfen.
Wohlwollend mit sich selbst sein.
So-Sein dürfen.
Dann passiert etwas, was Carl Rogers, ein herausragender Psychologe und Psychotherapeut, folgendermaßen beschrieben hat:
Es ist paradox, aber wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin, dann ändere ich mich.
Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben.
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