Kürzlich habe ich den Film Avatar- Aufbruch nach Pandora gesehen. Die Handlung spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die Rohstoffe der Erde erschöpft sind und die Lebensbedingungen für die menschliche Bevölkerung zunehmend schlechter werden. Aus diesem Grund bauen Menschen auf dem Mond Pandora einen begehrten Rohstoff ab und geraten dabei zunehmend in Konflikt mit der dort lebenden Spezies, welche sich gegen die Übernahme ihrer Welt verteidigt. Auffallend ist, wie menschenähnlich die Bewohner von Pandora aussehen und wie sehr auch Pflanzen und Tiere auf Pandora irdischen Lebensformen gleichen.
Ich spielte mit dem Gedanken, wie es wohl wäre, diese Geschichte auf einem Planeten spielen zu lassen, der von grellbunten, amorphen und schleimigen Gestalten bevölkert ist und dessen Pflanzen- und Tierwelt mit unserer irdischen ebenso absolut keine Ähnlichkeit hätte. Ich denke nicht, dass die Avatar-Filme dann ebenso erfolgreich wären.
Denn wir möchten mit den Geschichten, die wir sehen, hören oder lesen, in Resonanz gehen. Wir wollen, dass etwas davon uns in unserer Seele berührt. Dazu müssen die erzählten Bilder an jene Bilder andocken können, die in uns bereits vorhanden sind. Das ist der Weg, in dem wir die Welt erfahren: wir gleichen das, was wir mit all unseren Sinnen erleben, mit dem ab, was wir als innere Bilder bereits gespeichert haben. Durch diese Begegnung mit neuen Bildern kommt etwas in uns in Bewegung, verändern sich auch unsere Bilder, formen sich in uns neue Wege. Es muss etwas in uns in Schwingung kommen, damit wir emotional berührt sind.
Damit nähern wir uns der Frage, weshalb Märchen auf viele von uns eine starke Wirkung haben und weshalb sie auch in der therapeutischen Begleitung so wertvoll sind.
Es war einmal….in einem Land, weit, weit weg….in einer Zeit, in der das Wünschen noch half….
Märchen erzählen in einer überzeitlichen Form, sich über die Grenzen von Zeit und Raum hinwegsetzend, Geschichten, mit denen wir Menschen uns identifizieren können. Auch wenn Drachen, Fabelwesen, Zauberei und überirdische Mächte die Märchen bevölkern, so beschreiben sie doch in kunstfertiger und symbolischer Form menschliche Grunderfahrungen und Entwicklungsnotwendigkeiten, mit denen sich jeder Mensch auseinander setzen muss.
Denn da befindet sich eine Märchenheldin oder ein Märchenheld in einer Krise, hört einen inneren oder äußeren Ruf und merkt, dass eine Aufgabe darauf wartet, bewältigt zu werden. Da gibt es innere Zweifel, ein Zögern und schließlich den Aufbruch in Unbekanntes. Da werden Märchenheld*innen mit Herausforderungen konfrontiert, die es unter großen Schwierigkeiten, aber auch mit Hilfe von Helfer*innen zu meistern gilt. Das finden Entwicklungsprozesse statt, und nach erfolgreicher Bewältigung der gestellten Aufgabe erfolgt die Rückkehr in die Alltagswelt – bereichert um neue Erfahrungen und Fähigkeiten und sich selbst auf ganz neue Weise begegnet und weiterentwickelt.
Kennen wir das in übertragener Form nicht alle? Dass etwas in uns oder eine äußere Situation uns drängt, unsere Komfortzone zu verlassen, um Neues zu wagen? Dass wir mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, vor denen wir uns zunächst am liebsten verstecken möchten, um uns schließlich doch mit ihnen auseinanderzusetzen? Dass wir Krisen erlebt haben, in denen wir über uns selbst hinauswachsen mussten? Und aus denen wir schließlich gestärkt hervorgegangen sind. Und vielleicht haben wir auch Verluste erlebt, Kränkungen und Misserfolge, mit denen wir uns arrangieren mussten.
In Märchen dürfen wir in symbolischer und kunstfertiger Form erfahren, dass unser individuelles Problem auch eine kollektive existenzielle Entsprechung hat. Dort werden jahrhundertelange menschliche Erfahrungen beschrieben. Märchen sind aus einen langen Erzähltradition hervorgegangen und durch die Weitergabe dieser Geschichten haben sie sich zu transgenerationalen Weisheiten verdichtet. In ihnen können wir erfahren, nicht alleine zu sein mit unseren Hoffnungen, Konflikten und Ängsten und können Mut und die Zuversicht schöpfen, dass Probleme lösbar sind.
Über ein Märchen komme ich mit meiner eigenen Geschichte in Berührung.
Letztlich ist die eigene Biografie ohnehin erzählte Geschichte. Unser ganzes Leben über machen wir Erfahrungen über all unsere Sinne und all das hinterlässt seine Spuren, ist in unserem Leibgedächtnis abgespeichert. Doch woran können wir uns tatsächlich erinnern? Genau betrachtet, löst sich unser Leben in eine lose Aufeinanderfolge von erinnerten Ereignissen, Bildern, Gefühlen und Empfindungen auf. Wir versuchen, diese erinnerten Bruchstücke in eine chronologische Reihenfolge zu bringen und erzählen uns die Geschichte unseres Lebens. Doch als erinnerte Lebensgeschichte ist sie ein Konstrukt mit vielen Lücken, das sich im Nachhinein als kontinuierliches Nacheinander darstellt. Damit wird unsere Biografie sprichwörtlich zum Märchen.
Oftmals verharren wir dabei in einer fixierten Version dieser Erzählung. Das erzeugt starre innere Bilder, macht uns unflexibel und erschwert Wachstum. Das ist sehr schade, denn im Grunde ist Vergangenes doch eigentlich nie vergangen, sondern immer eine gegenwärtige Erinnerung im Hier und Jetzt. Wenn ich es also wage, meine eigene Geschichte durch die Brille meiner gegenwärtigen Situation frisch zu betrachten, darf ich neue Entdeckungen machen. Wer weiß, welche Erinnerungen dabei hochkommen, die jahrelang tief in mir geschlummert haben. Wer weiß, was ich bei heutiger Betrachtung neu bewerte.
In der Kunsttherapie betrachten wir die individuell erinnerte Geschichte eines Menschen als gestaltetes und somit gestaltbares Bild. Wir geben unserem Leben immer im Rückblick einen bestimmten Sinn und Zusammenhang und können daher unsere Biografie jederzeit umschreiben, in dem wir Ereignisse neu bewerten.
Bei all dem können erzählte Märchenbilder helfen. Sie docken an den Bilderreichtum unserer Seele an und bringen dort etwas in Schwingung. Sie geben Impulse, unsere eigenen Bilder weiterzuentwickeln. Fixiertes kann wieder in Bewegung kommen. Enge kann wieder weit werden. Wachstum wird möglich.
Wie können Märchen nun in der Kunsttherapie eingesetzt werden?
Die konkreten Möglichkeiten für die Arbeit mit Märchen sind vielfältig. Märchen können vorgelesen werden, Märchenbilder betrachtet werden, ein eigenes Märchen kann erzählt werden.
Märchen sprechen uns auf einer imaginativen Ebene an, sie berühren unsere eigenen inneren Bilder. Bereits das Anhören eines Märchens bringt in uns etwas in Bewegung. Manche Motive werden uns mehr ansprechen, andere weniger. Dort, wo unsere Resonanz am größten ist, liegt unser größtes Entwicklungspotential: Warum berührt mich die Schilderung jener Landschaft so sehr? Warum werde ich so ungeduldig mit jener Figur? Warum regt es mich so sehr auf, dass die heldenhafte Prinzessin am Ende doch wieder „nur“ unter die Haube kommt?
Für mich als Kunsttherapeutin ist es wichtig, mich mit der Symbolsprache der Märchen auseinandergesetzt zu haben. Das ist jedoch nur die Basis für die kunsttherapeutische Märchenarbeit, denn in der individuellen Begleitung ist einzig und allein von Bedeutung: was macht dieses oder jenes Märchenmotiv mit dem Menschen, der vor mir sitzt? Worin liegt der individuelle Bedeutungsgehalt? Was davon berührt? Warum tut es das? Was klingt da an?
Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben.
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